Wie kann man sich den typischen Tagesablauf einer Jurorin vorstellen?
Ulrike Beißenhirtz: Der Tag war für uns Juror_innen eigentlich sehr übersichtlich strukturiert. Um acht gab es Frühstück, um neun fuhr der Bus ab zu der Stelle, wo ursprünglich der Austragungsort hätte sein sollen, in unserem Fall in Bremen Lesum. Um halb zehn gab es die erste Wertung und dann haben sich bis zum Abend um Viertel vor sieben Wertungen und Jurygespräche im Wechsel hingezogen, mit einer Stunde Mittagspause. Danach wurden wir vom Bus wieder abgeholt, waren um Viertel vor acht im Hotel und hatten jeder noch vier Feedbacks zu schreiben.
Feedbacks?
UB: Ja, in diesem Jahr war die Situation anders, da es keine Beratungsgespräche geben konnte. Und so gut wie alle Teilnehmer_innen haben ein Kreuzchen gemacht bei der Frage, ob sie ein Feedback bekommen möchten. Also haben alle noch eine schriftlich ausgeführte Bewertung von uns bekommen. Das hat uns unterschiedlich viel, aber natürlich Zeit gekostet. Also haben wir die ersten beiden Abende kein Glas Wein miteinander getrunken; das kam erst später, als wir ein bisschen mutiger wurden...
Von wie vielen Tagen und wie vielen Wertungen sprechen wir?
UB: Es waren sechs Tage und 94 Wertungen. Ich war in der Altersgruppe IV und V für Querflöte und wir hatten jeweils drei Tage pro Altersgruppe. Ich hatte großes Glück mit meiner Jury. Wir haben glaube ich ein gutes Maß gefunden zwischen einem In-die-Tiefe-Gehen, also jeden einzelnen Kandidaten zu besprechen und wahrzunehmen und uns auszutauschen darüber, was er gut konnte und was er noch verbessern kann – natürlich immer auch mit dem Hintergrund, dass ja hinterher das Feedback geschrieben werden musste und man auch die Meinung der anderen wissen wollte. Da sind wir nicht zu ausufernd, aber doch sehr genau gewesen.
Die Ausrichtung als reiner Videowettbewerb war im Vorfeld nicht ohne Kritik geblieben. Wie bist du mit diesem Format zurechtgekommen?
UB: Es war wirklich speziell. Unter dem Gesichtspunkt der Begegnung und unter dem Gesichtspunkt des Jugend-Musiziert-Festes, das ja gerade beim Bundeswettbewerb sonst ein tolles Angebot für die Jugendlichen ist, war es doch eine totale Minderung. In den sechs Jurytagen konnte ich mich aber gut einstellen auf die Videos, und man konnte im Laufe der Zeit auch ganz gut Abstand nehmen von der Aufnahmetechnik und der Akustik in den Räumen, die ja leider oft überakustisch waren. Mein Fazit ist: Wie gut jemand Flöte spielen kann, lässt sich trotzdem sehr gut erkennen. Natürlich ist es anders live, weil es da dieses Quäntchen Aufgeregtheit gibt. Dieser ganze Aspekt fiel natürlich aus oder kam viel weniger zum Tragen.
Wie wichtig ist deiner Meinung nach die Zusammensetzung der Jury?
UB: Sehr wichtig. Unsere Jury in Bremen war natürlich noch einmal hochkarätiger besetzt als auf Landesebene. Was ich gut fand ist, dass die Gruppe sehr gemischt war, wir hatten ganz unterschiedliche Backgrounds, von der Hochschulprofessur über Schulmusik bis hin zu Musikmanagement. Außer mir gab es noch zwei weitere Flötisten, ein weiteres Jurymitglied war für die Klavierbegleitung zuständig. Niemand von uns ist aus einer durchschnittlichen Bewertung herausgefallen, auch wenn natürlich der eine etwas gutmütiger und der andere etwas strenger ist. Aber alle waren mit den Endergebnissen zufrieden. Es geht ja grundsätzlich nicht darum, ob man als Jury eine gewisse Macht hat. Wichtig ist vielmehr die Frage: Wie werden wir den Jugendlichen gerecht? In Bremen haben wir als Jury zum Beispiel viele dritte Preise vergeben. Das ist ein Preis, der besagt »Das war sehr okay, was ihr gespielt habt«. Eine Stufe darunter ist »Mit sehr gutem Erfolg teilgenommen«, das war das Schlechteste, was wir vergeben haben. Einen zweiten Preis gab es für einen Vortrag, der schon sehr gut vorbereitet war. Und ein erster Preis ist wirklich eine Auszeichnung. Und dann sind die Preise natürlich mit Punkten versehen. Jede Punktzahl für sich ist ein Kosmos. Gerade wenn du dich sechs Tage lang in diesem kleinen Bereich zwischen zwei Punktwertungen bewegst, hast du für dich selbst eine ganz genaue Unterscheidung. Anders gesagt: zwischen 21 und 23 Punkten liegt eine Welt. Es war interessant für mich zu sehen, wie alle darum ringen. Am Ende ist es nur eine Punktzahl, aber im Gespräch fächert sich das in viele verschiedene Bereiche auf. Ich denke, je größer die Jury ist, umso besser pendelt man sich da auch ein.
Du hast bereits Erfahrungen mit der Ausrichtung und der Jurytätigkeit bei Jugend Musiziert gemacht, etwa im Regional- und Landeswettbewerb. Welche Unterschiede hast Du erlebt zwischen dieser Arbeit und Deiner Jurytätigkeit beim Bundeswettbewerb in Bremen?
UB: Als Jurymitglied im Regionalwettbewerb ist der Haupttenor den Jugendlichen gegenüber »Dabei sein ist alles«. Wer sein Programm gut geübt hat und sicher abliefern kann, der wird gut bewertet. Im Landeswettbewerb geht es, wenn man weitergeleitet werden möchte, darum, dass man schon auffällig gut sein muss. Dynamik, Ausdruck, Stilempfinden – das alles muss zu erkennen sein. Und beim Bundeswettbewerb geht es dann um die künstlerische Persönlichkeit. Für die Jurys ist außerdem der Aufwand anders. Im Regionalwettbewerb haben wir vielleicht 20 Wertungen in allen Altersgruppen, im Bundeswettbewerb waren es allein in Altersgruppe IV und V insgesamt 94 Wertungen.
Das sind schon andere Ausmaße...
UB: Wichtig ist vor allem, dass man seine Rolle als Jurorin findet. Beim Regionalwettbewerb überwiegt das Wohlwollen, im Landeswettbewerb schwingt für einen immer die Frage mit, leitest Du weiter oder nicht. Man muss manche Kandidaten vielleicht auch davor bewahren, dass sie im Bundeswettbewerb zu schlecht abschneiden.
Du hast auch schon Erfahrungen sammeln können als fachfremde Juryvorsitzende. Was macht diese Position aus?
UB: Ich selbst war zweimal fachfremde Juryvorsitzende. Beim ersten Mal war ich so begeistert, dass ich dann netterweise ein zweites Mal gefragt worden bin. Ich finde das sehr gut, weil ich dadurch eben einen ganz anderen Bereich von Jugend Musiziert kennengelernt habe. In meinem Fall: Musical. Das ist ja ein verhältnismäßig neuer Bereich, und ich finde ihn gut, weil er Aspekte mit integriert, die es im klassischen Bereich nicht gibt. Man braucht unterschiedliche Kompetenzen, Gesang und Tanz, dann aber auch Schauspiel und in einem anderen Maß als im Instrumentalbereich wird viel Kreativität gefordert. Das fand ich interessant, aber auch, noch einmal ganz anderen Kollegen zu begegnen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bezogen auf unsere Jury in Bremen hatte die Position ein alter »Jumu-Hase«, der in den letzten Jahren sowohl Regional- als auch Landeswettbewerb in Rheinland-Pfalz organisiert hat und jetzt im Musikmanagement tätig ist, ursprünglich ein Fagottist. Es war sehr wertvoll, ihn dabei zu haben, weil er eine so große Erfahrung in der Leitung mit Jurys hat und genau wusste, wann muss man nochmal nachhaken und wann kann man das so stehen lassen.
Hast du auf den diesjährigen Wettbewerb selbst auch Schüler_innen vorbereitet?
UB: Eine Schülerin hat tatsächlich ein Video aufgenommen für Regional- und Landeswettbewerb, und dann noch einmal eines für den Bundeswettbewerb. Für sie war das eine ganz wertvolle Erfahrung. Nach dem Landeswettbewerb sagte sie zu mir, meine Güte, ich habe ja ganz distanziert gespielt, das ist ja ein komisches Video! Dann hatte sie acht Wochen Zeit sich zu überlegen, wie stelle ich mir das vor, und es auszuprobieren. So gesehen hat es eine entscheidende Entwicklung gegeben. Sie wird nicht Musik studieren, aber sie hat einen guten dritten Preis gemacht. Ich glaube, solche Erfahrungen haben wahrscheinlich viele gemacht zwischen Landes- und Bundeswettbewerb.
Wie wichtig ist der Austausch mit Kolleg_innen für Dich beim Bundeswettbewerb?
UB: So viel Austausch mit Kollegen wie in der Juryarbeit habe ich sonst natürlich nie. Und dann über so viele Tage... Aber ich hätte mich, wäre mehr Zeit gewesen, gern auch noch mehr mit anderen Kolleg*innen ausgetauscht, ob vom DTKV oder von Jeunesse Musicale. Aber einiges fiel diesmal eben flach, zum Beispiel das Jurytreffen, aber auch der Juryabend. Gelegenheit zum Austausch gab es in Bremen nur beim Frühstück, aber da wusste auch niemand so genau, darfst du dich jetzt eigentlich gemeinsam an einen Tisch setzen oder nicht. Schade auch, dass es keine Teilnehmerkonzerte gab, die ja auch zum Jumu-Fest-Charakter beitragen. Das hätte ich alles gern erlebt, denn einer der Wünsche von Jumu ist ja, dass die Stimmung vom Bundeswettbewerb mehr und mehr auch schon im Regionalwettbewerb und im Landeswettbewerb zu spüren ist. Das versuchen wir, aber es gelingt noch nicht.
Würdest du wieder als Jurorin am Bundeswettbewerb teilnehmen wollen?
UB: Ja, unbedingt. Der Wettbewerb unter Coronabedingungen war sehr spannend und für mich eine tolle Erfahrung. Jetzt würde mich natürlich auch ein „normaler“ Wettbewerb interessieren. Andererseits plädiere ich doch für eine gewisse Fluktuation und würde vielen anderen Lehrer*innen diese Erfahrung als Jurorin beim Bundeswettbewerb auch wünschen.