Öffentlichkeit ist für Künstler:innen ein Zustand, in den einzutauchen sie nicht nur gewohnt sind, sondern der ihnen auch eine gewisse Lust bereiten sollte. Folgt man dem Soziologen Richard Sennett, dann ist die Künstler:in spätestens seit dem 19. Jahrhundert zu einer öffentlichen Person geworden. In Verfall und Ende des öffentlichen Lebens erklärt Sennett dies damit, dass Künstler:innen – im Gegensatz zur normalen Bevölkerung – die »Ausstülpung persönlicher Ansichten und Gefühle« [1] nicht zurückhalten könnten. Wer Kunst macht, kann nicht anders, als Kunst zu machen. Von dieser Idee des Genialen sind wir seit Beuys in einem Teilbereich der Künste abgerückt, in der Musik hält sie sich hartnäckig. Als Personen der Öffentlichkeit sind Tonkünstler:innen – und mit ihnen darstellende Künstler:innen – also auch in besonderem Maß in öffentliche Wahrnehmung eingebunden. In Theatern und Konzertsälen spielt hier eine gewisse Gleichzeitigkeit eine Rolle. Was das Live-Geschäft angeht, sind Künstler:innen und Publikum praktischerweise gern zur selben Zeit am selben Ort, um das, was die einen mit den anderen teilen wollen, auch teilen zu können. Es gibt aber auch ungleichzeitige Möglichkeiten, öffentlich in Erscheinung zu treten, die Angebote zeitversetzter medialer Inszenierungen sind vielfältig und variabel. Es lässt sich Tonkünstler:innen also eine notwendige wie intensive Beziehung zur Öffentlichkeit unterstellen, mit der auch ein besonderes Maß an Verflechtet-Sein einhergeht. Das Sprechen über Öffentlichkeitsarbeit ist vor diesem Hintergrund mehr als eine bloße Frage von Marketing.
Der Titel »In eigener Sache« ist gewählt, weil ein Verband wie der Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV) für etwas steht, was man »die eigene Sache« nennen kann. Um sie zu vertreten, wurde er gegründet, erst 1844 in Berlin, dann als Zusammenschluss von Vereinen in Berlin, Hamburg, Leipzig und München. 1903 schließlich als Zentralverband deutscher Tonkünstler und Musiklehrer [2]. Doch für einen Verband, in dem sich öffentlich agierende Personen zusammengeschlossen haben, hat Öffentlichkeitsarbeit, wie ich denke, immer auch die Option, über die eigene Sache hinauszugehen. Das hieße auch, die Öffentlichkeit als ein sich veränderndes Gefüge in den Blick zu nehmen. Die weltweite Pandemie – verstanden als ein Ereignis von höchster Öffentlichkeitswirksamkeit, mündete unlängst und unversehens in einen auf allen Kontinenten um sich greifenden Aufruhr. Überall geraten bestehende Ordnungen ins Wanken. Im Iran demonstrieren die Frauen gegen das Mullah-Regime, der Krieg in der Ukraine trifft Wohlstandsgesellschaften wie die deutsche ins wirtschaftliche Mark, Atombombendrohungen eines despotischen Endzeit-Politikers stehen neben einer Veto-Politik, die völkerrechtliche Zusammenarbeit aufkündigt – um nur einige Beispiele zu nennen. All die Gewalt, die wir eurozentriert nur am Rande wahrnehmen, ist hier noch gar nicht aufgezählt. Erwähnung finden sollen aber zwei Fluchtpläne, die derzeit geschmiedet werden: Die bereits projektierte Errichtung eines Forschungslabors auf dem Mond sowie die Pläne eines Elon Musk zur Besiedelung des Mars. Öffentlichkeit(en) sind, so viel ist zu erkennen, also stets konstruiert, was auch für einen Tonkünstler:innen-Verband eine Herausforderung darstellt.
Ein wichtiger Aspekt von Öffentlichkeit ist, dass sich an öffentlichen Orten Fremde begegnen. In Opernhäusern, Theatern, Kaffeehäusern, Gasthöfen... Öffentlichkeit ist also immer auch ein Ort der Unsicherheit. »Ich arbeite in der Gefahr«, sagt Helge Schneider in der Doku »Mühlheim - Texas«. Er gehe stets »mit Seelenleben und Meinung auf den Platz«. [3] Trotz der Gefahr, die Helge Schneider im öffentlichen Auftreten sieht, entspricht er als Performer doch auch der Kosmopolit:in, wie Richard Sennett sie beschreibt – Gefahr hin oder her: »...ein Mensch, der sich mit Behagen in der Vielfalt bewegt; er fühlt sich in Situationen wohl, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem Vertrauten haben.« [4] Wenn es darum geht, in die Öffentlichkeit hinauszutreten, scheint diese Kosmopolit:in laut Sennett der »perfekte Öffentlichkeitsmensch (...) – ob mit oder ohne Behagen«. Manchen ist von der antiken ›Agora‹, dem öffentlichen Platz, auf den Tonkünstler:in wie Kosmopolit hinaustreten, allerdings nur die Phobie geblieben: Das Unbehagen, sich in öffentliche Zusammenhänge zu begeben, der Rückzug ins Private, der mit dem Wunsch einhergeht, sich den Blicken der anderen zu entziehen. Für Tonkünstler:innen ist das Versagen der eingangs bereits erwähnten »Ausstülpung persönlicher Ansichten und Gefühle« im öffentlichen Raum indes keine aussichtsreiche Alternative, sondern extrem kontraproduktiv. Es ist diese Aufnahme von Beziehungen zum Fremden, in der Sennett sowohl die Erfahrungen, die Menschen im Theater oder im Konzertsaal machen, als auch die Erfahrungen auf der Straße verbunden sieht: »In einer Gesellschaft«, so der Soziologe, »mit einem ausgeprägten öffentlichen Leben müsste es also eine Verwandtschaft zwischen Bühne und Straße geben.« [5]
Diese Verbindung von Bühne und Straße findet in der Öffentlichkeitsarbeit statt. Im englischen Terminus Public Relation, der zeitgeschichtlich schon etwas vor der deutschen Begrifflichkeit erdacht worden war, findet sich die von Sennett angesprochene Beziehungsaufnahme mit dem Fremden noch. Wie im Deutschen daraus Arbeit wurde? Vielleicht ein Ausdruck dafür, dass Arbeit hierzulande eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Miteinander spielt, vielleicht auch dafür, dass man hierzulande davon ausgeht, dass es Arbeit macht, Beziehungen zu knüpfen. Diese Beziehungs/Öffentlichkeits-Arbeit meint auch: Sichtbarkeit schaffen. Wie das Rampenlicht auf der Bühne ebenso jenes beleuchtet, was wesentlich zur Geltung kommen soll, wie es jenes im Dunkeln lässt, was nicht gesehen werden soll, ist auch die Öffentlichkeitsarbeit dazu geeignet, den Fokus auf das zu richten, was dazu auserkoren wurde, wichtig zu sein.
Die Frage, die sich allen stellt, die Öffentlichkeitsarbeit für Verbände machen, ist die Frage nach den Ressourcen. Welche Ressourcen braucht Öffentlichkeitsarbeit? Eine erste ist: Zeit. Öffentlichkeit zu sensibilisieren für die Inhalte und Bedürfnisse eines Verbandes, ist Arbeit. Und Arbeit realisiert sich nun mal in der Zeit. Dass diese Zeit in Verbänden oft von Freiwilligen eingebracht wird, macht die Sache nicht einfacher. Die unterschiedlichen Zielgruppen kontinuierlich zu informieren, mediale Inhalte zu produzieren, Veranstaltungen flächendeckend anzukündigen und für Vor- und Nachberichterstattung zu sorgen... In Krisenzeiten schnell und kompetent zu reagieren, Forderungen zu formulieren und Mitstreiterinnen zu finden – das sind Tätigkeiten, die die zeitlichen Kapazitäten von freiwilligen Mitarbeitenden oft überschreiten. Die zweite Ressource einer guten Öffentlichkeitsarbeit ist: Geld. Wer über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, kann mediale Inhalte professionell und schnell produzieren oder produzieren lassen. Reiche Verbände können auf professionelle Mitarbeiter:innen zurückgreifen und sie für ihre Arbeit bezahlen, ärmere nicht.
Eng damit verbunden ist die dritte Ressource: Kompetenz. Nicht immer muss, um kompetente Öffentlichkeitsarbeit zu machen, auf Profis zurückgegriffen werden. Ungezählte Instragram-Posts von konzertierenden Musiker:innen sind ein gutes Beispiel dafür, dass man für die eigene Sache auch dann selbst verantwortlich zeichnen kann, wenn man nicht PR sondern Musik studiert hat. Für einen Verband stellt sich diese Frage allerdings umfänglicher. Einen Verband von fast 10.000 Mitgliedern in 16 Bundesländern in der Öffentlichkeit zu positionieren, braucht neben Zeit, Geld und Kompetenz auch Kontinuität, also Ausdauer. Und die ist nebenbei schwer leistbar. Es liegt nahe, hier gegebenenfalls über eine (Teil-)Professionalisierung nachzudenken. Öffentlichkeit herzustellen ist schließlich ein wichtiger Teil von Verbandsarbeit, vielleicht sogar eine der wichtigsten Aufgaben eines Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern.
[1] Sennett, Richard (2004): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt: Fischer, S.42f.
[2] Damals war die eigene Sache des Verbandes, wie eigentlich bis heute, national und männlich.
[3] Zitate aus: »Mühlheim - Texas«, Doku, ZDF 2020
[4] Sennett (2004), S.32.
[5] Ebd., S.58.
Vortrag, gehalten im Rahmen von Neustart Kultur, einer Veranstaltung des Deutschen Tonkünstlerverbandes (DTKV) in Kloster Banz, Oktober 2022