Längst hat sich der Trüffeläquator verschoben – auch nördlich des Alpenhauptkammes findet man die kostbaren Pilze heute reichlich. Esther Bieri und ihr Hund Hector gehen im Schweizer Emmental erfolgreich auf die Suche. Die Luft ist feucht und durchzogen von leichtem Modergeruch. Letzte Sonnenstrahlen fallen an diesem späten Herbsttag durch die Kronen eines kleinen Buchenwäldchens. »Genau die richtige Atmosphäre, um nach Trüffeln zu suchen«, sagt Esther Bieri. Fürs Finden ist Hector zuständig. Und der graugelockte Lagotto Romagnolo scheint das auch zu wissen.
Die Schnauze knapp über dem blätterbedeckten Waldboden schnüffelt der Hund sich auf Zick-Zack-Linien zwischen den Bäumen hindurch. Frauchen unterstützt ihn. »Such, Hector, such!« Immer wieder sieht er auf, sucht Augenkontakt, dann wieder den Wald ab. Die kostbaren Trüffeln sind eigentlich nichts anderes als Parasitärpilze. Besonders ist die Art, wie sie sich mit den Wurzeln ihrer Wirte verbinden – mit Buchen, Eichen, Haselnusssträuchern. Ihr charakteristisches Myzelgeflecht, also der Teil des Pilzes, der sich mit dem Holz verbindet, ist schwer nachzuahmen, Trüffeln sind deshalb auch schwer »anzubauen«.
Je nach Tiefe der Wurzeln wachsen sie zehn bis 50 Zentimeter tief in der Erde. Für den Menschen unsichtbar, für den gut ausgebildeten Trüffelhund immerhin zu riechen. Klingt einfach, ist aber anstrengend. »Das Trüffelsuchen verlangt von dem Hund schon eine ziemliche Konzentration«, sagt Esther Bieri. »Deshalb ist nach einer halben Stunde auch Schluss, dann machen wir eine Pause.« Und wechseln mitunter anschließend auch den Standort.
Wer nach Trüffeln sucht, sucht nie nur an einer Stelle. Esther Bieri hat gut ein Dutzend Waldstücke, in denen sie regelmäßig Trüffeln findet, und die sie deshalb auch regelmäßig aufsucht. Die liegen im Emmental, nicht weit von dem 200 Jahre alten Bauernhaus entfernt, in dem sie mit Mann, zwei Kindern, Hector und dem Jagdhund Jack lebt. Andere liegen im Jura, eine Autostunde Richtung Norden. Im Jura ist das schweizer Trüffel-Vorkommen am höchsten, da die unterirdischen Gourmet-Pilze kalkhaltigen Boden, wie er dort zu finden ist, bevorzugen. In der Schweiz hat sich das Trüffel-Vorkommen in den vergangenen 40 Jahren verdoppelt. Das mag, so vermuten Forscher, auch an der Klimaverschiebung liegen. Der Trüffel-Äquator hat die Alpen längst überschritten. Nördlich der Alpen kommen vor allem drei Trüffel-Arten vor: Die Sommer-Trüffel (tuber aestivum), die von Juni bis September wachsen, dann die Herbst-Trüffel (tuber uncinatum), deren beste Zeit von September bis Dezember ist und seltener die Winter-Trüffel (tuber brumale), die von Dezember bis März geerntet werden. Was die eine von der anderen Trüffel unterscheidet, ist neben Farbe (von weiß bis schwarz) und Größe (von murmel- bis Tennisballgroß) vor allem der Geruch. Je intensiver, desto begehrter. Ihn zu beschreiben, ist nicht einfach. Wie Knoblauch, sagen manche, pfeffrig andere. Nie werden Trüffel in Gerichten mitgekocht, weil ihr Aroma dadurch verloren geht. Meist werden sie – wie bei Spaghetti – über das Essen gehobelt. Es gibt sie eingelegt in Kognac, in Butter oder Öl. Frisch halten sie sich nur ein paar Tage, am besten in Boxen unter Haushaltstüchern im Kühlschrank. Zu lange sollte man mit dem Verzehr aber nicht warten. Das Aroma nimmt Tag um Tag ab. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Trüffel unter Naturschutz gestellt wurde und deshalb nicht ausgegraben werden darf, ist die Schweiz in Sachen Waldnutzung liberal. »Hier bei uns in der Schweiz gehört der Wald allen Bürgern«, sagt Esther Bieri. »Jeder darf hier spazieren gehen, Pilze pflücken oder eben Trüffeln suchen.« Eine Beschäftigung, die im Kanton Bern immer beliebter wird. Konnte man die Trüffelsucher in den 70er Jahren noch an zwei Händen abzählen, so bewegt sich deren Anzahl nun bereits im dreistelligen Bereich.
Dabei sind Trüffelsucher Einzelgänger. Man begegnet sich nicht gern; schon deshalb, um nicht die eigenen ertragreichen Waldstückchen an die Konkurrenz zu verraten. Die Trüffelsuche umgibt seit jeher eine Aura des Geheimnisvollen. Man redet nicht viel. Vor allem nicht über Fundorte. Eigentlich ist Esther Bieri alles andere als eine Einzelgängerin. Im elterlichen Lebensmittelgroßhandel arbeitet sie in der Geschäftführung und in ihrem eigenen kleinen Delikatessen-Handel vermarktet sie unter anderem Trüffelprodukte. Sie mag das – unter Menschen sein, mit Menschen verhandeln, sich neue Projekte ausdenken. Das mit Hector und dem Trüffel-Suchen war auch so ein Projekt. Das erste, was Esther Bieri dafür tat – sich einen passenden Hund zu suchen. Und der wurde am 6.Februar 2010 in einem kleinen Dorf im Aargau geboren: Hector Hardy Tatino of Golden Comfort. Sechs Wochen später holte sie ihn ins Emmental und begann mit seiner Ausbildung zum Trüffelhund.
Geübt wurde jeden Tag auf der großen Wiese vor dem Haus. Und wie jedes Training, brauchte auch dieses vor allem: Zeit und Geduld. Im Alter von vier Monaten belegte er bei einem Trüffelhundewettbewerb den vierten Rang. Im Spätsommer war es dann so weit. Hector sollte sich das erste Mal im Ernstfall bewähren. Das Timing war perfekt, denn im Emmental war gerade Hochsaison für Sommer-Trüffel, bis Dezember wollten Esther Bieri und Hector dann noch Jagd auf die schwarzen Burgunder-Trüffel machen. Hector erwies sich als ziemlich talentiert. Die Ausbeute seines ersten Arbeitstags aß die Familie abends zur Pasta. Esther Bieri nahm Hector auf ihren täglichen Spaziergängen mit an die Emme und in den Wald, und immer öfter kamen die beiden mit frischen Trüffeln nach Hause.
Mit jedem Waldspaziergang gewann Hector an Berufserfahrung, und auch sein Frauchen bildete sich weiter, wurde Mitglied in der Schweizerischen Trüffelvereinigung, besuchte Fortbildungen und mit einem erfahrenen Trüffelsucher immer wieder verschiedene Wälder. Sie lernte alles darüber, wie man eine Gegend als trüffelig erkennen kann – am Boden, den Bäumen, dem Kalkgehalt, kleinen Fliegen. Und Respekt vor der Natur: »Wer eine Trüffel findet, muss das Loch wieder verschließen, ganz vorsichtig mit Erde, und Laub darüber legen«, sagt Ester Bieri. Weil sonst an dieser Stelle keine Trüffel mehr wächst. Behutsamkeit ist unter Trüffelsuchern eine Tugend.
Nachdem schon die erste Saison fast 15 Kilogramm Burgunder-Trüffel eingebracht hatte, die Ester Bieri teils an Freunde verschenkte, teils selbst verbrauchte, fiel ihr ihre alte Geschäftsidee vom kleinen, aber feinen Delikatess-Handel ein. Wie lange war die in der Schublade gelegen! Zusammen mit der längst gesicherten Domain schlaraffenland.ch … Mit Hector an ihrer Seite hatte sie nun endlich den Mut, ihre Pläne umzusetzen. »Ich lebte einfach bewusster und wollte nur noch machen, was mir Freude macht«, sagt sie. 2011 startete Esther Bieri ihre eigene kleine Erfolgsgeschichte, sprach andere Trüffelsucher an, ob die ihnen ihre Trüffel verkaufen, baute sich selbst ein Netzwerk unterschiedlichster Abnehmer auf – und startete mit Trüffelprodukten einen Internethandel.
Die Faszination, die von Trüffeln ausgeht, ist auch auf den jedes Jahr ab Saisonbeginn südlich und nördlich der Alpen stattfindenden Trüffelmärkten zu spüren. Da treffen Sucher, Händler, Weiterverarbeiter, Köche, Restaurantbesitzer und private Käufer aufeinander. Den Preis für die Trüffeln bestimmt das Angebot. Gibt es ausreichend, wird ein Kilo Burgunder-Trüffeln mit etwa 600 bis 800 Schweizer Franken gehandelt. Das ist vergleichsweise günstig. Auf der anderen Seite der Alpen, im französischen Périgord, zahlt man für ein Kilo der qualitativ hochwertigeren Périgord-Trüffeln leicht bis zu 3000 Schweizer Franken. Zwar werden Trüffeln, je später sie in der Saison geerntet werden, umso teurer, da ihr Duft immer intensiver wird. Allgemein gilt aber (und das erklärt die Qualitätsunterschiede der Trüffelsorten, die vor allem vom Aroma bestimmt werden) die Sommertrüffel als aromatischer. Dies erklärt auch, warum die weiße Alba-Trüffel (tuber magnatum), die hauptsächlich im Montferrato-Gebiet im Piemont und in der Region Istrien wächst und von Oktober bis Dezember geerntet wird, oft noch teurer ist als die Périgord-Trüffel (tuber melaosporum). Auch wenn der französische Schriftsteller und Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin die Trüffel in seiner 1826 erschienenen Abhandlung „Die Physiologie des Geschmacks“ den ›Diamanten der Küche‹ nannte, dem bis heute existierenden Vorurteil, dass sich Trüffeln nur leisten kann, wer ein teures Auto fährt und Zigarren raucht, widerspricht Esther Bieri vehement – und macht eine Rechnung auf. 100 Gramm Burgunder-Trüffel aus dem Emmental kosten 60 Schweizer Franken. 100 Gramm – das reiche gut und gern, um 6 Personen festlich zu bekochen. »Macht 10 Franken pro Person und Essen«, sagt sie. »Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass man Trüffeln ja nicht jeden Tag isst.«
Francesco Petrarca, der große italienische Dichter des 14. Jahrhunderts, nannte die Trüffel im neunten Sonett seiner Rime: »Kind des Sonnenlichts und der feuchten Erde.« Esther Bieri mag dieses Bild, weil sie genau diese Atmosphäre beim Trüffelsuchen so oft vorfindet. Dann kommt sie mitunter ins Nachdenken, und ihr fallen neue Trüffelprodukte ein, während Hector suchend durch den Wald läuft. Wie der Trüffelkäse, den sie unbedingt zur nächsten Saison anbieten möchte. Also wird sie in den nächsten Tagen wohl wieder einmal hinauf zur Käserei Hüpfenboden fahren. Eigentlich sind die Käser dort bekannt für ihren bis zu drei Jahre alten Emmentaler. Aber Esther Bieri ist zuversichtlich: »Käse und Trüffeln – im Emmental gehört das zusammen.«