Die Formel, mit der sich die Menschen hierzulande die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie merken sollen, kommt der Einfachheit halber mit wenigen Lettern aus: A, H und noch einmal A. Eineinhalb Meter Abstand zu anderen Menschen lassen, Hygienemaßnahmen wie das Husten und Niesen in die eigene Armbeuge einhalten, regelmäßiges Waschen und Desinfizieren der Hände sowie das Tragen einer Mund-Nasenmaske, die, um die Formel nicht unnötig zu komplizieren, Alltagsmaske genannt wird.
Die Kunst der Hygiene hat Hochkonjunktur. Und Grafiker aller Länder bemühen sich, mit bildnerischen Mitteln bei der Aufklärung zu assistieren, damit auch dort, wo Menschen des Lesens unkundig sind, die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gut verständlich unters Volk gebracht werden. Kunst und Medizin, die heute ob vermeintlich unterschiedlicher Forschungsansätze gern feinsäuberlich voneinander getrennt werden (experimentell offenen die Kunst, ergebnisorientiert die Medizin), arbeiten aktuell Hand in Hand. In der Antike, aus der das Wort Hygiene stammt, war die Trennung von Kunst und Medizin ohnehin nicht wichtig; beides waren (und sind es bis heute) Forschungsgebiete mit Laboratorium. Die so entwickelte »Kunst der Hygiene«, die sich aus den beiden griechischen Wörtern ὑγιεινή (Hygieinḗ, Gesundheit) und τέχνη (téchnē, Technik i. S. einer Kunst) ableitete, weist bis heute auf die Verbindung der Disziplinen hin.
Innerhalb der Kunst selbst bleibt es bei unterschiedlichen Ansätzen. Während die Kampagne des Gesundheitsministeriums in Berlin auf den simplen Aha-Effekt eines Daniel Düsentrieb setzt, kommt zum Beispiel aus der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK), wo Kunstproduzent*innen noch Proletarier*innen sind und ihre künstlerische Tätigkeit seit der Staatsgründung durch Kim Il Sung immer schon als politische Propaganda im Dienste des Volkes verstehen, ein demgegenüber fast poetisch anmutender Entwurf, der stark die handelnden Personen in den Vordergrund stellt. In diesem Fall: eine Frau. Wer die Arbeiten aus koreanischen Ateliers regelmäßig verfolgt, wird in ihr die erfolgreiche Erntehelferin anderer Plakateditionen erinnern.
Gemalt hat sie Mr. Kim Yong, der seinen wirklichen Namen nicht genannt wissen möchte und sich mit seinem Pseudonym phonetisch in die Nähe des Obersten Führers Nordkoreas rückt. In Zusammenarbeit mit einem in Peking ansässigen Reiseveranstalter, der die DVRK exklusiv in seinem Portfolio führt, hat Mr. Kim Yong ein Bild gemalt, das auch den anderen Nationen Mut im Kampf gegen die Pandemie machen soll, und das zudem zeigt, wie Nordkorea es geschafft hat, Sars-CoV-19-frei zu bleiben. »Let’s wash our hands!« lautet die klare wie praktikable Botschaft. Auflage: 200, Format A3 (circa), 120 Euro pro Druck plus 20 Euro für den Transport nach Übersee.
Nun geht es – was das Bild des Händewaschens vielleicht suggerieren mag – bei der »Kunst der Hygiene« aber nicht explizit um Sauberkeit im Sinne einer Abwesenheit von Dreck. Waldkindergärten liefern seit Generationen den Beweis dafür, dass auch Kinder mit Matsch an den Händen gesund sein können. Die Idee, die in der Antike als Hygiene ihren Anfang nahm, zielt doch eher auf eine Art Katharsis, die weniger einen absoluten Zustand (von Sauberkeit) meint, als einen Vorgang. Vor dem Hintergrund allerdings, dass speziell mit der »deutschen Volkgesundheit« immer dann argumentiert wird, wenn gründlich gegen Minderheiten vorgegangen werden soll, bleibt diese der Gesundheit dienende Reinigung leider nicht ohne schädliche Nebenwirkungen. Denn das Virus mutiert nicht nur unter medizinischen Aspekten, seit es von Wuhan aus über eine Zwischenstation in Italien die Welt erobert. Es trifft überall dort, wo es auftaucht, auch auf eine besondere Spezies von menschlichen Parasit*innen. Derjenigen Spezies nämlich, die sich zwar die Hände wäscht, um sauber zu bleiben, die der »der Gesundheit dienenden Kunst« derweil aber in Massen und maskenlos demonstrierend widerspricht. Diese mit dem Virus auf eigenartig kontradiktische Art schicksalshaft verbundene Gruppe dürfte auch wenig interessieren, dass die AHA-Formel mittlerweile um ein L (Lüften) und ein weiteres A (Corona-App nutzen) ergänzt wurde, was zu weiteren grafischen Umsetzungen führte.
Aber kann die Kunst im Sinne einer Kunst der Hygiene wirklich aufklären? Fest steht: Trotz Abstand zwischen den Menschen nimmt die Zahl der Sars-CoV-19-Infizierten zu. Vielleicht liegt das aber weniger an der Kunst als daran, dass zu viele, sich widersprechende Gleichungen kursieren, die stärker sind als alle Plakate. Neben AHA + L + A = x gilt seit den Anfängen der Pandemie auch Abstand (A3) = Nähe (N). Überträgt man diese beiden Äquivalenten aus der Merkel‘schen Gleichung auf die AHA-Ausgangsformel, so wird das Dilemma deutlich: AHA + L + A = A3 = N stellt mathematisch dar, was im Alltag keinen Sinn macht. Das hieße nämlich: Je mehr die Hygiene-Maßnahmen eingehalten werden, umso mehr Abstand wird eingehalten, und umso mehr Nähe entsteht. In der Mathematik suchen Systeme bei unlösbaren Gleichungen nach einer Pseudolösung. Vielleicht ist das hier ja auch gelungen. Wenn im Lockdown (repräsentiert durch A3) trotz erhöhter Einhaltung der AHA-Formel die Infektionszahlen (repräsentiert durch N) steigen, dann geht die Rechnung doch auf.