Warum eine ins Kloster geht? Dem Heiligen Benedikt sei ja die ganze Welt in einem Lichtstrahl erschienen, sagt Schwester Maria, während sie im Rosenbeet vor dem Haus St. Joseph steht und mit der Harke den Boden zwischen den Pflanzen auflockert. Von einer Klosterschwester hätte sie so eine Geschichte allerdings noch nicht gehört.
»Man überzeugt sich im Allgemeinen besser durch Gründe, die man selber gefunden hat, als durch die, die anderen eingefallen sind.« Blaise Pascal, aus: „Pensées“
Wie der volle Mond über dem ruhigen Wasser hängt, das dunkel liegt, still. Auf der Mitte des Ammersees fährt hell erleuchtet ein Ausflugsdampfer, Sommer. Die lachenden Stimmen der Passagiere an Bord hallen bis ans Ufer, wo jenseits des Kiesweges die gelb gestrichene Fassade der Kapelle von Sankt Alban zurückleuchtet. Es ist halb neun Uhr abends, die Benediktinerinnen, die hier, wo andere ihre Ferien verbringen, zu Hause sind, haben gerade ihre Komplet beendet, das zweite Abendgebet. Jetzt ziehen sie sich in ihre Zellen in der Klausur zurück, dem Teil des Klosters, den nur die Schwestern betreten dürfen. Bis zum Morgengebet am nächsten Tag werden sie schweigen.
Schwester Maria war vierzehn, als sie das erste Mal nach Sankt Alban kam. Mit der Schule fertig und noch zu jung für eine Lehre sollte sie hier ein Praktikum in der Großküche machen. Sie litt, hatte Heimweh, wollte an Weihnachten unbedingt nach Hause fahren. Aber das war zu teuer. Wochen später, an Ostern, lehnte sie die Heimfahrt trotzig ab. »Diese Monate hier haben mich erwachsen gemacht«, sagt sie. Das Leiden am Heimweh. Und den Schmerz ausgehalten zu haben. Dass sie knapp 20 Jahre später für immer in das Kleid einer Benediktinerin schlüpfen würde, war da noch nicht klar. 40 Jahre ist sie jetzt dabei. Bis zur Erreichung des Rentenalters leitete sie eine der Gruppen des Kinderheims, das zum Kloster gehört. Über die eigene Berufung zu sprechen, findet sie, das sei immer irgendwie schwierig. Sie sei damals, was die Zeit vor der Profess meint, beruflich ziemlich eingespannt gewesen, eine gefragte OP-Schwester, die genug Geld verdiente, um gut leben zu können. Aber das reichte ihr eben nicht. »Ich wollte einen Zusammenhang, der größer ist«, sagt sie. Die eigene Arbeit mit Gott zu verbinden, das machte Sinn und macht es bis heute. »Dann ist das Leben im Tod auch nicht zu Ende.«
Deutschlandweit leben etwa 25.000 Frauen in Klöstern. In Sankt Alban sind es 27. Zwei Schwestern sind pflegebedürftig, 25 arbeiten. Schwester Lucia ist im Sommer 80 geworden. Sie sitzt auf einem kleinen Hocker mitten in der Spülküche. Wenn man genau hinsieht, lächelt sie doch. Es ist halb zehn. Um zwölf muss das Essen fertig sein. Schwester Lucia fischt Salatblätter aus Eimern mit kaltem Wasser und reißt sie mundklein.
Währenddessen türmen sich auf dem Rollwagen hinter ihr große Töpfe, riesige Pfannen, kiloschwere Fleischwölfe. Immerhin hat Schwester Lucia heute Hilfe, eine junge Frau aus dem Ort hatte vor zwei Jahren gegen das deutsche Betäubungsmittelgesetz verstoßen und leistet in der Küche des Klosters nun ihre letzten Sozialstunden ab. Schwester Johanna ist auch da, trocknet ab, wäscht die Töpfe vor, unter einem Strahl aus dem Wasserschlauch. Schwester Lucia wechselt zum Abwasch, hievt Töpfe, Eimer und Besteck über den Beckenrand ins heiße Wasser. So ein Vormittag in der Spülküche ist Schwerstarbeit. Sieben Tage die Woche. An diesem Nachmittag wird Schwester Lucia Besuch von ihrem Bruder bekommen. Der ist auch Benediktiner und aus der Mission zurück. Zwei Stunden lang kommt Schwester Johanna dann ohne sie aus.
Das Kinderheim mit seinen sechs Gruppen, die Großküche, in der jeden Tag für 100 Menschen gekocht wird, die Waschküche, die Landwirtschaft mit Kühen, Schweinen, Hühnern, der Gemüsegarten zur Selbstversorgung, der Hort für die Tageskinder – ohne Angestellte könnten die Schwestern all diese Aufgaben längst nicht mehr erfüllen. 40 sind es mitterlweile, mehr als Schwestern. »In den Kindergruppen arbeiten mittlerweile sogar hauptsächlich weltliche Angestellte«, sagt Priorin Schwester Ingeborg Ott. Das Durchschnittsalter im Kloster Sankt Alban liegt bei knapp 61. Ob der Nachwuchsmangel ihr Sorgen macht? »Er wirft Fragen auf«, sagt sie. Etwa, was die Schwestern selbst noch leisten können. Oder ob man sich verkleinern sollte. Wichtig sei die Besinnung auf das Wesentliche: den Gründungsgedanken und das monastische Leben. »Ich glaube nicht, dass es zu Ende geht. Wir bekommen nur ein anderes Gesicht«, sagt Schwester Ingeborg. Die ganze Gesellschaft werde älter. Sie ist – gegen den Trend – zuversichtlich. »Es wird immer Berufungen geben«, sagt sie. Das mit Gott sei Vertrauenssache. Sie ist davon überzeugt, dass er mit den Schwestern von Sankt Alban noch etwas vorhat: »Warum hätte er Anfang 2000 sonst noch einmal drei junge Schwestern hierher führen sollen?« Es gehe nicht um Größe sondern um die Erfüllung des Wesentlichen.
Frauen, die ins Kloster gehen, bestimmen nicht selbst, wie sie als Schwestern heißen werden, auch wenn sie vor der Namensgebung Wünsche auf einen Zettel schreiben können. Schwester Bonifatia Wiedemann war die erste Priorin des Klosters von Sankt Alban, 38 Jahre lang, von 1966 bis 2004. Bonifatia bedeutet Wohltäterin. Unter ihr als Priorin wuchs das Kloster zu dem, was es heute ist. Einiges wurde abgerissen, das Café am See zum Beispiel, dessen Einkünfte die Schwestern seit den 50er Jahren (neben den staatlichen Tagessätzen für die Kinderbetreuung) über Wasser gehalten hatten. Dann wurden Anfang der 70er Jahre die ersten modernen Häuser für die Kindergruppen gebaut. Ziemlich in Seenähe. Wer die Bayerische Bauordnung kennt, ahnt, wie oft und intensiv die Priorin damals mit dem zuständigen Landrat verhandelt haben muss. Von den geringen Voraussetzungen für eine solide Finanzierung einmal abgesehen. Schwester Pia, damals Cellerarin des Klosters, sagte: »Wir haben 20 000 Mark.« Ein Heim koste etwa 1,5 Millionen. Die beiden Frauen müssen sich lange nachdenklich angesehen haben. Am Ende sagten beide: „Wir schaffen das.“ St.Michael und St.Raphael 1971, St.Joseph 1980 – die Häuser stehen längst. Weil die Schwestern noch mehr arbeiteten. Und weil jemand die Idee hatte, die Fördererkartei des Klosters Sankt Ottilien abzuschreiben.
Schwester Bonifatia war schon mit 15 klar, dass sie Nonne wird, sagt sie. Es mag am katholischen Zuhause gelegen haben, an den Gesprächen über Gott. Und dann hörte sie in der Kirche die Evangelien auf deutsch, nicht lateinisch wie üblich, und endlich waren sie zu verstehen. „Ich dachte, das geht mich ja auch an, nicht nur die anderen.“ Nächstenliebe, Armut, Gehorsam - sie wollte all das leben; in einem Kloster, aber bitte ohne Ziehharmonikatracht und Wollsocken. Ein befreundeter Pater machte sie auf Sankt Alban aufmerksam. »Dass die Schwestern damals noch kein Kloster hatten, war mir egal«, sagt sie. »Aber die Tracht war schlicht, der Hals offen, die Haare guckten unter dem Schleier hervor. Es gab sogar Nylonstrümpfe, weil die einfach länger hielten.« Wirklich beeindruckt aber war sie von den Frauen, ihrer Liebe, dem respektvollen Miteinander. »Alles für unsere Kinder.« Das sagt sie heute noch. 1955 verließ Schwester Bonifatia ihre schwäbische Heimat und zog nach Sankt Alban. Ihre Mutter habe nur zweimal im Leben geweint: »Einmal, als mein Vater mit 50 an einer Blinddarmentzündung starb. Ein zweites Mal bei meinem Abschied.« Eigentlich hätte sie auf dem elterlichen Hof helfen müssen. Aber ausgerechnet in jenem Jahr machten irgendwie ihre Beine nicht mit, sie hatte fürchterliche Schmerzen. Und dann fand der Bruder eine Frau. Zufall? Sie sagt: »Gottes Fügung.« Nach 38 Jahren an der Spitze der Kongregation ist sie seit zehn Jahren wieder eine einfache Schwester wie am Anfang. »Man muss loslassen können«, sagt sie über den Rollenwechsel. Nicht mehr zuständig zu sein, ist nicht einfach. Aber man sei eben auch die Verantwortung los. »Der erste Schritt zur Demut ist Gehorsam ohne Zögern« heißt es in den Regeln des Heiligen Benedikt. Seit eine andere Priorin ist, zieht Schwester Bonifatia im Garten Gemüse groß, erntet Gurken, Schnittlauch und Paprika. Sie ist glücklich über das große Gewächshaus, in dem etwas abseits die Tomaten in Ruhe reifen können, und dass das Wasser aus dem Quellbach, der über das Grundstück fließt, umgeleitet werden konnte bis in die Bassins dort.
Vor St. Raphael stehen zwei Leiterwagen, mittags holen die Kinder damit und in großen Töpfen Essen aus der Klosterküche. Bei gutem Wetter ist auf den Wiesen zwischen den Häusern und hinunter zum See ziemlich viel Trubel. 70 Mädchen und Jungs wohnen zur Zeit im Kinderheim des Klosters, gehen im nahen Dießen zur Schule oder in den Kindergarten, manche bleiben bis nach der Berufsausbildung.
Dass sie hier sind, liegt nicht an ihnen. Es liegt an den Verhältnissen, in denen ihre Eltern überfordert waren, krank wurden oder gestorben sind. Es gibt viele Gründe, warum Kinder nach Sankt Alban kommen. Mehr als Kinder.
Tobi ist drei und spricht seit einem halben Jahr. Nicht, dass er keine Wörter in sich gehabt hätte, als er hier ankam, sie kamen ihm nur nicht über die Lippen. Nach Monaten, in denen Schwester Karolina mit ihm immer wieder die vielen Muskeln im Mund trainierte, die man fürs Sprechen braucht, kamen sie heraus.
Zuerst: gelber Bagger. Klar. Dann im Vorübergehen an einem der Marterln, die auf dem Klostergelände stehen, fiel sein Blick auf den gekreuzigten Jesus. Tobi sagte: Nackidei. Am Eingang zu dem kleinen Raum, in dem Schwester Karolina mit Kindern wie Tobi logopädisch arbeitet, zieht der Junge die Schuhe aus. Bäuchlings legt er sich auf einen großen Gymnastikball, lässt sich wippen, hängt und genießt. Schwester Karolina ist überzeugt, dass erst einmal die Grundbalance eines Kindes wiederhergestellt werden muss, damit es sich entwickeln kann. Tobi konnte nicht sprechen, weil ihm Bewegung fehlte. Auch Körperkontakt. Das mit dem Ball hat ziemlich lange gedauert, bis er es überhaupt zulassen wollte. Ohne einigermaßen normalen Gleichgewichtssinn ist das nämlich eine ziemlich große Herausforderung. Für Tobi muss das mit dem Ball kein gutes Gefühl gewesen sein am Anfang. Irgendwie unheimlich, wenn man in sich keinen Halt hat. Als erwachsener Mensch vergisst man ja den Sinn für das Gleichgewicht so leicht, vielleicht weil gucken, hören, riechen, tasten und schmecken so viel sinnfälliger sind im Alltag. Dabei ist der Gleichgewichtssinn die Basis, von ihm geht alles aus. Er ist so grundlegend wichtig. Später auf dem Weg zurück zu seiner Gruppe stakst Tobi mehr als dass er liefe wie ein Dreijähriger eben laufen können sollte. Karolina sieht ihm mit einem Lächeln nach. »Das kriegen wir auch noch hin«, sagt sie, »das mit den Beinen.«
Die Geschichte des Klosters Sankt Alban erzählt die Geschichte eigenwilliger Frauen, die sich nicht unterkriegen ließen. Am 24.Oktober 1919 schreibt der Benediktiner-Pater Emmeran Fahrnholz im etwa 5 Kilometer nördlich des Ammersees gelegenen Kloster Sankt Ottilien ins Jahrbuch der Erzabtei: »Wir haben hier auch eine Schwesternniederlassung von drei Rotkreuzschwestern: Schwester Annunciata, Anna und Maria, die ein kleines Kinderheim halten. Wozu wird dieser Keim wohl nach Gottes Vorsehung noch heranwachsen?« Schwester Annunciata, Baronesse von Schloss Haldenwang bei Burgau, gilt als Gründerin der Frauengemeinschaft. Schon in jungen Jahren wollte sie ein klösterliches Leben führen. In Sankt Ottilien lebte sie während des ersten Weltkriegs zunächst als Rotkreuzschwester. Sie hielt sich an die Regeln des Heiligen Benedikt und begann, sich auch um einige notleidende Kinder der Region zu kümmern. Als Oblatin war sie dem Klosterleben durch ein Versprechen verbunden, obwohl nicht offiziell Ordensfrau. Als sie im März 1923 die Gelegenheit bekam, ein Wirtschaftsgebäude nahe der Kapelle Sankt Alban zu pachten, zog sie um. Ende 1923 bestand die Gemeinschaft schon aus sieben Frauen, am 27.November gründeten sie den Verein der Schutzengelschwestern e.V., unter dem die Kongregation bis heute zivilrechtlich eingetragen ist. Die Gemeinschaft wuchs, immer mehr Grundstücke und Gebäude kamen hinzu. Die Schwester pachteten, kauften, bauten selbst – und sollten bis in die sechziger Jahre hinein die teils privaten Kredite abbezahlen.
Als Schwester Annunciata 1933 mit 48 an Krebs starb, wäre ihr Traum von einem Frauenkloster am Ammersee fast gestorben. Der Erzabt von Sankt Ottilien, zuständig für die Schutzengel- schwestern, wollte die Gemeinschaft auflösen. Doch die leisteten Widerstand. Schwester Benedikta Hofmann sagte: »Wenn der Herrgott will, dass es weitergeht, dann wird er Mittel und Wege finden, dass es geht. Auflösen kann es sich von selbst; aber wir machen jetzt weiter.« Bis heute können die Schwestern von Sankt Alban diese Sätze auswendig. Ein Mantra gegen Zweifel und Krise.
Schwester Benedikta stand den Schutzengelschwestern bis 1957 vor, dem Jahr, in dem sich die Kongregation der Benediktinerinnen von Sankt Alban gründete.
Rund um den Brunnen vor der Klosterpforte rupfte Schwester Hildegard jahrelang das Unkraut. Noch am Ende ihres Lebens, mit 80, als sie nur noch ganz gebückt gehen konnte und einen kleinen Wagen brauchte. Dort, wo sie nicht mehr ist, wächst heute Löwenzahn zwischen Bordstein und Asphalt.
Schweigen provoziert innere Widersprüche. Auf sich zurück geworfen sein ist eine der Herausforderungen im Kloster. Was ohne Ablenkung an Gedanken kommt, an Zweifeln oder Gefühlen, ist mitunter nicht leicht zu ertragen. Immer haben sie mit einem selbst zu tun, und dem Verhältnis zur Welt und den Menschen.
»Viele Menschen laufen vor der Konfrontation mit sich selbst weg«, sagt Schwester Ingeborg. Wer bin ich? Was bin ich? – oft sind schon diese einfachen Fragen zu viel. Eines der drei Gelübde-Versprechen der Benediktinerinnen ist die ›Stabilitas‹, die Ortsbeständigkeit. Im übertragenen Sinn meint das aber auch zwischenmenschliche Beziehungen und dass man Schwierigkeiten nicht ausweichen soll. „Im Schweigen begegne ich Gott“, sagt Schwester Ingeborg. Sie schweigt gern und genießt die Ruhe nach der Komplet: »Weil wir die letzten Eindrücke des Tages mit in unsere Träume nehmen.«
Es gibt Momente, in denen schwierige Situationen auch eine gläubige Frau dahin bringen können, dass sich das Leben einsam anfühlt. Schwester Ingeborg schreit ihrem Gott das dann auch schon mal entgegen. Ohne Worte, aber immerhin heftig. Dann braucht sie das Gegenüber, einen der zuhört und antwortet. Vor sieben Jahren wählten die Schwestern sie zur Priorin. Vielleicht erscheinen Ämter am Anfang ja immer denen zu groß, denen Demut und Verantwortung noch wert sind. »Ich war eine der jüngsten Frauen im Kloster und sollte plötzlich den anderen sagen, was zu tun ist«, sagt Schwester Ingeborg. Vor einem Jahr wurde sie wiedergewählt. Sie ist geduldiger geworden, mit sich – und dem Herrgott. »Man kann nicht alle immer gleichzeitig zufrieden stellen«, sagt sie heute. »Aber wenn ich Gott bitte, mir den richtigen Weg zu weisen, muss ich auch die Kraft haben, seine Antwort abzuwarten.« Ihr Name geht auf eine Königin zurück, die im 13. Jahrhundert in Frankreich lebte. Ingeborg bedeutet »Die von Gott Beschützte«.
Der Tag im Kloster beginnt morgens um fünf mit einem alles durchdringenden Weckton. Weil dieser Ton so fürchterlich ist, steht manche Schwester immer ein bisschen vor der Zeit auf.
Manche auch deshalb, weil die halbe Stunde bis zum Morgengebet um 5.30 Uhr in der Kapelle nicht reicht, um sich fertig zu machen. Die Gebete strukturieren den Tag. Um 5.30 Uhr Lesehore und Laudes, 6.30 Uhr Eucharistiefeier, 12.15 Uhr Mittagsgebet, 18.30 Uhr Vesper, 20 Uhr Komplet.
Schwester Agnes ist schon seit halb vier wach, hat ihre Tracht angezogen und die dicken schweren Gummistiefel. Ab Viertel vor vier melkt sie zusammen mit Jürgen, dem angestellten Landwirt des Klosters, die 16 Kühe. Mittags nickt sie manchmal beim Gebet in der Kapelle ein. Das frühe Aufstehen sei schon nicht einfach, sagt sie. Schwester Agnes ist 43. Sie sieht aus wie Anfang 20. Sankt Alban ist ihr zweiter Versuch. »Bei einer Ehe weiß man ja auch nicht, ob die hält, auch wenn man es gern will«, sagt sie. Sie lernte Industrienäherin, trat in ein Kloster ein. Sie war 25 und sich sicher, das Richtige zu tun. »Seit ich Kind bin, wollte ich ins Kloster«, sagt sie, und entschuldigt sich, dass sie das nicht besser erklären kann. Wenn die Frage nach dem Warum auf ein Geheimnis zielt, hinter das man gern käme, verweigert es sich in Momenten wie diesem. Das mit den Tieren hat sie erst lernen müssen. Jetzt macht ihr die Arbeit viel Freude. Mit einer Ausnahme: das Schlachten der Tiere. »Dazu braucht mant Radikalität«, sagt sie. Die fehle ihr. Töten muss der Jürgen. Wirklich rentabel ist die Landwirtschaft nicht. 250 Liter Milch und 100 Eier am Tag, das Fleisch von den Kühen, den Schweinen. Vor kurzem haben die Schwestern wieder einmal diskutiert. Aufhören oder weitermachen? Am Ende entschieden sie sich für weitere fünf Jahre. »An der Landwirtschaft hängt vielen Schwestern eben das Herz«, sagt die Priorin. »Sie hat für uns alle auch einen ideellen Wert.« Benediktiner hatten immer einen Garten, Felder und Tiere.
Rot steht für die Liebe, blau für die Wasserfluten des Ammersees. Die Taube meint die schöne jungfräuliche Seele. Die drei goldenen Kronen im oberen Teil des Wappens der Benediktinerinnen von Sankt Alban stehen für die Gründung der Kongregation am 6.Januar 1957, die zweite steht für die Einleitung der Gespräche über die Gründung der Kongregation durch Diözesanbischof Aurelian Bilgri OSB, die dritte Krone ist die Verbindung zwischen den beiden Farbfeldern und nimmt Bezug auf die die gottgeweihte Seele. Sie liegt im roten Feld, weil nur in der Liebe ein gottgeweihtes Leben erbeten, gelebt und erfüllt werden kann. Die drei Kronen stehen auch für Dienst, Liebe und Gehorsam, während alle Herrschaft, Macht und Größe Christus im Himmel und auf Erden gegeben ist.
Das rechte Maß finden zu wollen, ist in einer kapitalistischen Gesellschaft mitunter die größere Herausforderung. Die Suche nach Glück stellt sich außerhalb des Marktes nicht weniger intensiv.
Es gibt Überlappungen. »Wer hat Lust am Leben und möchte gute Tage schauen?« könnte ebensogut der Slogan eines Pauschalreisen- Anbieters sein, der postmoderne Sinnsucher auf Südseeinseln schickt. Doch die Frage stellte Benedikt von Nursia, sozusagen der erste Benediktiner. Anfang des 6.Jahrhunderts verieß er den Moloch von Rom und gründete 529 auf dem Monte Cassino ein Kloster. Nach seiner Regel leben die Benediktinerinnen bis heute. Mitunter auch vom Burnout bedrohte Manager. Nicht dass sie so leben würden wollen; alles therapeutisch, aber immerhin.
Es ist ein Unterschied, ob einer in der Welt ist oder von der Welt. Aber immer geht es um die Rahmenbedingungen, die ein Leben tragen, und so etwas wie Freiheit erst ermöglichen. Der Raum, in dem die Schwestern leben, ist unter anderem deshalb so groß, weil sie sich selbst nicht so wichtig nehmen. Sie denken auch nicht darüber nach, was es zum Mittagessen gibt, solange sie für dessen Zubereitung nicht zuständig sind. Lässt sich ein Problem tagsüber nicht lösen, legen sie es beim letzten Chorgesang des Tages in die Hände eines anderen, von dem sie annehmen, er weiß eine Lösung. »Man wird einfach den Zwang los, alles aus eigenen Kräften schaffen zu müssen«, sagt Schwester Ingeborg. »Je mehr es mir gelingt, Gott präsent zu haben, desto größer ist meine Freiheit.«
Die eigene Zelle, das sind acht Quadratmeter Privatheit für jede Schwester, ein Bett, ein Tisch, ein Schrank. Ein paar persönliche Sachen. Die Klostergemeinschaft, sagt Schwester Ingeborg, solle man sich nicht wie eine Familie vorstellen. Die Frauen in Sankt Alban siezen sich, was etwas respektvolles hat. Schwester Karolina sagt: »Jede von uns geht ein Stück ja auch ihren eigenen Weg, braucht einen Rest an Privatssphäre.« Man selbst bleiben und in der Gemeinschaft aufgehen, vielleicht sei das die Kunst. Was die Frauen eint, ist eher ihre gemeinsame Vorstellung von einem Leben in Armut, Arbeit und Gottesfurcht, weniger Herkunft, Alter oder Temperament. Die Berufung – für Schwester Karolina nicht nur eine Frage des Glaubens, auch des Verstands. »Ich habe mich schon gefragt, ob ich es durchhalte, meine Ideale unter dem Aspekt des Gehorsams umzusetzen.« Sie setzte sich lange mit dieser Frage auseinander, als sie dann ihre Gelübde ablegte, war die Sonderschulpädagogin bereit, auch in der Näherei zu arbeiten.
Heute gibt sie am Ammerseegymnasium, das vor jahren auf ehemaligem Pachtgrund des Klosters gebaut wurde, katholischen Religionsunterricht; auch in der Grund- und Hauptschule. Sie baut mit den Kindern auch Seifenkisten und übt jeden Tag in der Kapelle an der Orgel. »Nicht was ich mache«, sagt sie, »sondern in welcher Gesinnung ich es mache, ist wichtig.«
Um diese Zeit im Jahr steht noch die Nachmittagssonne hoch. Schwester Immaculata schneidet im Schatten der Klosterküche Melisse und Pfefferminze aus, später werden die Blätter getrocknet, im Winter als Tee getrunken. Dieses Jahr hatte sie Jubiläum, die ersten 50 Jahre, seit sie ihr Gelübde abgelegt hat, sind vorbei. 1958 kam Immaculata das erste Mal nach Sankt Alban, wie so viele – zu Besuch. Da hatte sie zuvor schon jahrelang anderen den Haushalt geführt, zuletzt einem Priester aus Sankt Ottilien. Irgendwie hatte der sie auf die Idee mit dem Kloster gebracht. Sie wollte in die Mission, am liebsten ohne Schleier.
»Dafür hätte ich aber reicher sein oder einen besseren Schulabschluss haben müssen«, sagt sie. »In Sankt Alban war das nicht wichtig.« Also blieb sie. Arbeit gab es genug. Und arbeiten kann sie. Zur ersten Profess bekam sie die Medaille einer andern Schwester, die das Kloster wieder verlassen hatte. 1973 bestand sie die Prüfung zur Hauswirtschaftsmeisterin. Sie legt ihr Messer beiseite und holt die Medaille hervor, die an der langen Silberkette um ihren Hals hängt. Das Relief ist so abgenutzt, man kann ihn fast nicht mehr erkennen, den Heiligen Benedikt mit seinen beiden Schülern, dem Raben und dem Auge Gottes auf der Rückseite, den Weihrauch und die Bienen, die für „Ora et labora“ stehen, Arbeit und Gebet.
Schwester Maria sagt: »Nun sollten wir Ihren Sohn doch endlich taufen lassen.« [An dieser Stelle sei also erzählt, dass er Mitte der 80er Jahre in ihrer Kindergruppe als ungetauftes Tageskind war, während ich im nahen Dießen als Redakteurin arbeitete.] Sie lächelt dabei so herausfordernd, wie sie schon vor 25 Jahren immer lächelte, wenn es um die Frage ging, ob ihr Gott da wirklich einen Unterschied macht, ob einer getauft ist oder nicht. Jetzt sagt sie: »Aber so ein Fest wäre schon sehr schön.« Später, zwischen 20 Quadratmetern Schnittlauch und dem Feld mit dem gerade geernteten Brokkoli, strahlt Schwester Bonifatia, weil sie sich über ihr Alter freut und bald zu sterben. Sie sagt: »Natürlich alles zu seiner Zeit«, als sie sieht, welche Bestürzung ihre Vorfreude ausgelöst hat. Endlich beim Herrn. Und wir würden uns dann auch alle wiedersehen … Später. Auf den Einwand, es könnte sein, dass man nach dem Tod in unterschiedlichen Wirklichkeiten ankommt, sagt sie: »Alle werden die Größe Gottes erkennen.« Taufe hin oder her.