Boxen als Metapher für das Leben? Eher, so die amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates in ihrem Essay Über Boxen, könne sie sich das Leben als Metapher für das Boxen vorstellen: »...für einen dieser Kämpfe, die nicht enden wollen.« Kein Ende sieht im Lockdown auch Profiboxerin Maria Lindberg. Pandemiebedingt wurden und werden 2020 alle bislang geplanten Kämpfe abgesagt – auch ein Kampf.
Ist Boxen so infektiös?
ML: Vielleicht ist es das, wenn man mit Kontakt und Sparring boxt. Aber meiner Meinung nach kann man ein Boxtraining machen, ohne jemanden anzustecken. Ich würde das schaffen als Trainerin – ohne Problem. Draußentraining ohne Kontakt und ohne irgendwelche Risiken, jemanden anzustecken. Schade, dass ich nicht die Möglichkeit bekomme, das zu machen.
Was bedeutet die Pandemie für Dein Boxen?
ML: Trainieren kann ich, das mache ich auch, das ist mein Beruf, aber man braucht auch die Prüfung am Ende, den Kampf. Mein letzter Kampf war vor rund einem Jahr... Also fehlt dieser letzte Teil, der am wichtigsten ist. Man braucht immer das Ganze: langsam starten, aufbauen, hart trainieren am Ende, kämpfen, wo es richtig knallt, und dann wieder Pause. Man braucht dieses Hoch und Runter. Aber zurzeit gibt es kein Ende, man macht nur weiter, weiter, weiter. Ich bin quasi seit vier, fünf Monaten durchgehend in der Kampfvorbereitung. Und ich weiß nicht einmal, ob ich in diesem Jahr überhaupt noch kämpfen werde. Ich versuche motiviert zu bleiben und weiter zu trainieren. Falls etwas kommt, muss ich bereit sein. Mental und körperlich ist das hart.
Deine Frauenboxgruppe in der »Ritze« auf der Reeperbahn pausiert gerade wegen des Lockdowns. Was hätst Du vom Freizeitsportverbot?
ML: Schwierig zu sagen. Ich verstehe schon, dass wir etwas machen müssen, um Corona zu bremsen. Aber es gibt einiges, was ich nicht ganz logisch finde. Andererseits bin ich auch keine Expertin und ich halte mich an die Regeln, und hoffentlich haben die Experten Ahnung und machen das richtige.
Du hast relativ spät mit dem Boxen angefangen. Du warst 20. Wie kam es?
ML: Zufall! Ich wollte irgendwas trainieren und eine Freundin von mir trainierte damals Fitnessboxen. Ich mit zum Probetraining und fand es geil. Es ging gar nicht um Wettkämpfe, das ist erst später dazu gekommen. Am Anfang war es nur eine Trainingsform.
Was hat Dich daran so begeistert?
ML: Wir haben uns ausgetobt, und nicht einmal gedacht, dass das Training ist. ich war so fokussiert, um richtig zu stehen, richtig zu schlagen, technisch alles richtig zu machen. Die ganze Zeit fokussiert zu sein, das hat mir Spaß gemacht. Und wenn man die richtige Technik ausgeführt hat, spürte ich, was für eine Power in meinem Körper war. Das hat mich begeistert.
Seit 2008 bist Du Profi – hat das Boxen Dich verändert?
ML: Ich glaube schon. Natürlich habe ich das Gefühl, ich bin immer noch die gleiche Maria, die ich war, als ich mit dem Boxen angefangen habe. Aber natürlich ist Boxen so ein großer Teil von meinem Leben, ich boxe seit 23 Jahren. Das hat mich bestimmt verändert. Ich bin mir sicher, dass ich auch stärker bin, mental und körperlich sowieso. Boxen ist ein hartes Geschäft, nicht nur das Training und in den Ring zu steigen. Auch alles, was drum herum ist, ist sehr hart. Da muss man selbst auch hart sein oder werden, um das alles zu schaffen. Das glaube ich schon, dass mich das verändert hat.
Als Boxerin riskierst Du in jedem Kampf deine Gesundheit. Führt dieses Risiko dazu, dass Du auch anders in der Realität stehst, schärft das sozusagen den Realitätssinn?
ML: Ja, Boxen ist einigermaßen gefährlich. Deshalb ist Boxen auch nicht für jeden etwas. Nicht jeder kann das schaffen. Das Risiko ist zu groß. Als Mensch musst du schon Bock auf dieses Risiko haben. Das ist natürlich das, was zieht. Angst würde ich nicht sagen, aber einen Riesen Respekt. Du kannst jederzeit k.o. gehen, dieses Risiko muss dich ziehen, sondern schaffst du es nicht, in den Ring zu steigen. Entweder kämpfst du dich durch den ganzen Kampf oder du brichst ab. Aber Abbrechen ist nicht wirklich eine Option. Dafür hast du ja deinen Trainer deine Trainerin, die das Ganze hoffentlich ein bisschen objektiver von außen sehen und den Kampf dann abbricht für den Fall, dass man komplett chancenlos ist. Zum Glück hatte ich das noch nie. Ich weiß, mein Trainer würde den Kampf abbrechen, wenn er sieht, dass ich keine Chance habe. Das ist eine wichtige Vertrauenssache zwischen Boxer, Boxerin und Trainer.
Über so etwas machst Du dir im Ring keine Gedanken?
ML: Nein, man denkt im Kampf an so etwas überhaupt nicht. Du bist in so einem Kampfmodus. Jeder Boxer, zumindest erfahrene Boxer, vielleicht nicht Anfänger, die kämpfen, bis sie sterben, da kommen irgendwelche Instinkte (hoch). Man kämpft einfach. Das ist das Gehirn, das so primitiv ist und einfach kämpft, kämpft, kämpft. Man glaubt auch die ganze Zeit, dass man das schaffen kann. Und wenn du als Trainerin außen stehst, dann siehst du das natürlich ein bisschen mehr objektiv.
Was ist ein guter Kampf?
ML: Ein guter Kampf ist, wenn es wirklich auf Augenhöhe ist. Wenn beide Boxerinnen wirklich auf dem gleichen Level sind, vielleicht sogar einen unterschiedlichen Stil haben, wobei das nicht so wichtig ist, aber auf Augenhöhe sind. Geben und Nehmen.
Mehr geben als nehmen...
ML: Für mich auf jeden Fall, das ist wirklich das Beste. Wenn ein Kampf hin und her geht, ist das im Kopf ein bisschen hart als Kämpferin, aber wenn es hin und her geht und man am Ende gewinnt, ist das natürlich extrem schön.
Was macht für Dich eine gute Boxerin aus?
ML: Das ist sehr komplex. Man braucht einen physischen Teil, körperlich stark zu sein. Und auch mental, im Kopf stark zu sein. Man muss es schaffen, sich im Kampf umzustellen, umzudenken, abhängig davon, wie der oder die andere boxt. Ein guter Boxer stellt sich auf seine Gegnerin ein und macht das beste von seinen eigenen Voraussetzungen.
Tut Boxen weh?
ML: Ja, es kann weh tun. Körperlich und seelisch, im Kopf. Wenn du im Ring bist, dann tut es physisch, körperlich nicht weh. Du bist so voll mit Adrenalin, deshalb spürt man das nicht. Danach kann es schon wehtun, am nächsten Tag oder zwei Tage später. Aber im Kopf kann das natürlich sehr weh tun. Wenn man irgendwie schlecht gekämpft hat oder man nicht zufrieden ist mit seiner eigenen Leistung. Das kann schon weh tun.
Zuschlagen – kostet das Überwindung?
ML: Das ist unterschiedlich, für mich war das nie ein Problem. Ich hab das von Anfang an gemocht zu spüren, was für eine Power in meinem Körper drin ist. Aber ich kenne das, es gibt schon Boxer, der*die damit Probleme haben. Aber für mich war das nie ein Problem.
Boxst Du eher so, dass Du viel meidest und ausweichst?
ML: Als Anfängerin hatte ich die Einstellung, zwei nehmen und vier geben. Das reicht ja, um zu gewinnen. Dann habe ich verstanden, dass das auf Dauer so nicht geht. Damals hat mein Trainer auch gesagt, wir müssen auf Dauer anfangen, anders zu arbeiten, also ausweichen und schlage, also nichts nehmen und nur geben. Dadurch hat sich mein Stil verändert. Das ist auf Dauer natürlich viel gesünder.
Kannst Du dir erklären, warum Boxen immer noch als Männersport gilt?
ML: Nee oder Ja. Ich glaube, man braucht einfach ein bisschen Zeit. Klar ist es manchmal ein bisschen nervig, dass man immer verglichen wird / vergleichen muss mit Männern. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, Frauenboxen ist ziemlich neu. Als ich mit Boxen angefangen habe, war Frauenboxen sehr sehr neu. Ende 90er Jahre. Und klar, viele vergleichen das und man muss ein bisschen verteidigen, warum man das macht. Ich glaube, dafür brauchen wir noch ein bisschen Zeit, so, wie mit vielen anderen Sachen auch, dass man sich als Frau beweisen muss, bevor man akzeptiert wird.