Auszug aus dem Weißen Haus
Es ist noch vor acht Uhr – morgens! Der 20. Januar 2021. Lange hält die Kamera auf das Weiße Haus in Washington. Ein Reporter nimmt vorweg, was in den nächsten Minuten passieren wird. Donald Trump werde aus der Villa aller amerikanischen Präsidenten treten (ist das, was wir da sehen, eigentlich der Hinterausgang? Und wer sind die Handvoll Menschen, die an dieser nicht wirklich ernst zu nehmenden Absperrung ausharren?), er werde über ein Stück Rasen laufen, neben sich – anzunehmen – seine Frau Melania (oder wird sie unbeobachtet doch den Vorderausgang nehmen?). Dann würden sie, so der Reporter, den Hubschrauber des Präsidenten besteigen und zum Flughafen geflogen werden, wo die Air Force 1 auf sie warte, um ihn – den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika – samt Frau und Familie anschließend nach Florida zu fliegen. Er werde rechtzeitig dort landen, um noch im Amt zu sein. Denn erst gegen Mittag an diesem Mittwoch, werde der gewählte Präsident, der »President elected« Joseph Biden auf der Terrasse hinter dem Capitol auf die Bibel schwören, die seine Ehefrau ihm hinhalten wird, und hinterher der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein – und den alten, den, der zur gleichen Zeit aus seiner Limousine winkend durch Miami fahren werde, ersetzt haben. So weit das, was noch nicht zu sehen ist. Das Timing des »FPE« (Former President Elected) perfekt gewählt, um noch in Amt und Würden die Stadt seines bisherigen Wirkens zu verlassen.
Doch was mag vor acht im Weißen Haus vor sich gegangen sein? Wann musste Melania raus aus den Federn, um ausreichend Zeit zu haben, sich professionell darauf vorzubereiten, an diesem schon heute »historisch« genannten Morgen kurz vor acht aus dem Weißen Haus heraus und damit vor die Kameras der Welt zu treten? Wann mag für die First Lady (FFLE) der Wecker geklingelt haben, an ihrem letzten Tag in der Washington-Dependance ihres Ehegatten. Wahrscheinlich zu früh. Moving Day – das ist nie einfach, bei »Presidents« genauso wenig wie bei Schröders oder Merkels – egal wo auf der Welt. Auszüge und Umzüge sind Einschnitte, die an niemandem spurlos vorübergehen. Und frühes Aufstehen stellt da durchaus eine zusätzliche Herausforderung dar. »It’s not enough we have to quit, we also have to quit that early! Darling, I am not amused!« So oder so ähnlich mag die scheidende First Lady, in Anlehnung an ihre royale Kollegin, die Königin von England, an diesem Morgen gesprochen haben. Vielleicht hat sie statt »Darling« auch einfach »Mr. President« gesagt, oder die Beschwerde nur in Gedanken ausgesprochen, während Donald, ihr Darling, der vier Jahre lang u.a. die Weltpresse auf Trab gehalten hat, damit beschäftigt gewesen sein mag, die Requisiten des letzten WH-Tages in eine Reisetasche zu werfen: Zahnbürste, Haarbürste, Pyjama, Deo, die Bibel aus dem Nachttisch und die Dreckwäsche vom Vortag. Er muss sie ja nicht selbst zum Heli tragen ...
Es ist kurz vor neun, als Mr. President D. Trump die First Lady ans Mikrophon lässt. Eine Hand voll Menschen, die am Luftwaffenstützpunkt Andrews, einige wenige sogar mit einer Mund-Nase-Maske ausgestattet, ausharren, werden Zeugen einer präsidialen Generosität: Donald Trump tritt zur Seite, Melania Trump spricht einige Sätze, die zurückblicken auf vier Jahre des Glücks an der Seite des Präsidenten.
Bevor sich die Kameras endgültig dem PE der USA zuwenden und ihn als erstes beim Besuch eines Gottesdienstes beobachten, geleiten sie den FPE in den Himmel über Washington. Zu hören ist die Stimme von Frank Sinatra, die nach der letzten Strophe den etwas veränderten Refrain »This was my way« zum Besten gibt. Langsam, aber zielstrebig verlässt die Air Force 1 den Cache der Kameras. Schnitt.
Außer der Nachricht, dass Melania in Florida in einem sommerlichen Maxi-Kleid die Air Force 1 verließ, nachdem sie in Andrews im kleinen Schwarzen an Bord gegangen war, wird nichts Nennenswertes berichtet. Die Augen der Welt sind auf das Capitol gerichtet. Hier spielt die Musik. Jennifer Lopez ist da und Lady Gaga. Einige FPs (Former Presidents), besser: eigentlich alle, die noch leben und noch laufen können. Nur eben der eine nicht. Die Sonne scheint überall. Mag sein, in Florida ist es ein paar Grad wärmer an diesem 20. Januar 2021.